Bedürfnisorientiert. Dies ist in aller Munde, wenn es um Kindererziehung geht. Doch was heißt das überhaupt und welche Grundbedürfnisse solltest du erfüllen? Und überhaupt- gilt das nur für das Kind oder auch für dich selbst?
Das Erfüllen der Grundbedürfnisse ist lebensnotwendig
Du kennst bestimmt das unangenehme Gefühl, wenn du Hunger oder Durst hast: du reagierst irgendwann gereizt, deine Stimmung und Körperfunktionen spielen verrückt. Erst wenn du dann endlich etwas getrunken oder gegessen hast, fühlst du dich besser. Das Erfüllen dieser Bedürfnisse sichert dir dein Überleben.
Ähnlich ist es mit den psychischen Bedürfnissen: sind diese langfristig unerfüllt, fühlst du dich überlastet, leer, antriebslos oder bist gereizt, aggressiv und im unerfüllten Dauerfunktionsmodus. Das geht hin bis zu ernsthaften psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Burnout oder Entwicklung von Angststörungen.
„Aus einem leeren Glas kann man nicht trinken“
Man liest immer wieder, dass man einem Baby seine Grundbedürfnisse sofort erfüllen sollte. Dies ist auch richtig und wichtig, denn ein Baby ist darauf angewiesen und hat noch kein Zeitgefühl. Nur so kann es ein Urvertrauen entwickeln. Doch kollidieren die Bedürfnisse deines Säuglings oftmals mit deinen. Rein evolutionstechnisch ist diese Phase aber auf max. 12 Monate begrenzt- und ursprünglich hatte man auch das sprichwörtliche Dorf zur Unterstützung.
Je älter das Kind wird, umso wichtiger ist es, dass du zuerst auf dich selbst schaust. Denn dauerhaft geht es nicht gut, selber immer zurück zu stecken. Das merkst du bereits daran, wenn dir der Alltag einfach zu viel wird. Und das ist auch ganz logisch: wie willst du deinem Kind etwas geben, wenn du innerlich selbst total leer bist und auf dem Zahnfleisch daher kommst?
Die 4 psychischen Grundbedürfnisse
Laut Klaus Grawe gibt es vier unterschiedliche Grundbedürfnisse, deren dauerhaftes Nicht-Erfüllen zu ernsthaften psychischen Störungen führen kann. Im Folgenden werde ich diese kurz erklären:
Grundbedürfnis nach Bindung
Dies zeigt sich ganz deutlich am Säugling: hat er keine zuverlässige und liebevolle Bezugsperson, stirbt er oder entwickelt dramatische Störungen. Ein grausames Experiment von Kaiser Friederich II zeigt, dass selbst Babies, deren körperliche Bedürfnisse nach Nahrung und Schlaf erfüllt wurden, an einem Mangel von sozialer und emotionaler Interaktion verstarben.
Ähnlich verhält es sich mit sozial vereinsamten Menschen: nicht nur, dass sie schneller krank werden- auch die Lebenserwartung ist verkürzt.
Wird hingegen das Bedürfnis nach Bindung erfüllt, entwickelt sich ein Urvertrauen, denn wir haben Schutz, Nähe und Liebe erfahren. Und auch im Erwachsenenalter ist die Bindung/Verbundenheit die Grundvoraussetzung für Zufriedenheit und Gesundheit. Das muss nicht unbedingt eine Partnerschaft sein, auch Freunde oder die Mitgliedschaft in einem Team oder Verein befriedigen dieses Bedürfnis.
Ideen zu Erfüllung des Bindungsbedürfnisses
Gehe in Kontakt mit anderen Menschen. Tausche dich mit Gleichgesinnten aus. Triff dich regelmäßig mit Freunden oder telefoniere mit ihnen. Unternimm etwas: Sport, tanzen, singen, ausgehen- egal was es ist. Versuche, Arbeit auch hin und wieder im Team zu erledigen- gemeinsame Ziele schaffen eine große Verbundenheit. Lege dir ein Hobby zu: auch wenn du dies alleine machst, stärkt es die Verbindung zu dir selbst. Beteilige dich an gemeinsamen Aktionen, werde aktiv in Gruppen oder Vereinen. Jeder von uns hat ein unterschiedliches Bindungsbedürfnis und wo der eine eine ganze Herde um sich braucht, genügt dem anderen eine einzige Vertrauensperson. Achte hier auf dich selbst. Und last not least: gehe in echten Kontakt zu deinen Kindern uns stärke eure Verbindung. Inspirationen hierzu werden bald in einem neuen Artikel folgen.
Grundbedürfnis nach Autonomie und Kontrolle
Das Gegenteil von Bindung ist der Wunsch nach Selbstbestimmung. Und beides schließt sich nicht aus; vielmehr wird dieses Bedürfnis größer, je stärker wir gebunden sind und diese Sicherheit erfahren haben. Denn dann fühlen wir uns stark genug, uns frei zu entfalten.
Autonomie führt zur Selbstwirksamkeit und diese wiederum bildet mit die Basis für ein stabiles Selbstwertgefühl. Wir lernen, dass wir selbst etwas erreichen und uns auf uns verlassen können. Dies schafft wiederum Sicherheit.
Auch dem Bedürfnis nach Kontrolle liegt ursprünglich ein Sicherheitsstreben zugrunde (andere Modelle nennen dieses Grundbedürfnis auch „Bedürfnis nach Sicherheit“). Fehlt uns die Orientierung, sind wir irgendwie lost. Genau das lösen oft Kinder in uns aus, die nicht auf uns hören. Unser Kontrollbedürfnis ist unerfüllt, wir werden hilflos und dadurch oftmals wütend.
Auch bei Schicksalsschlägen wie Krankheit oder Tod oder durch eine Trennung wird dieses Bedürfnis frustriert, weshalb es hierbei oft zu einer psychischen Krise kommt.
Was du konkret tun kannst, um das Autonomie-Bedürfnis zu erfüllen
Wie oben erwähnt, ist hierfür zunächst Sicherheit nötig. Alles was diese verschafft, ist optimal: dies können auf den 1. Blick seltsam klingende Sachen sein wie Aufräumen (äußere Ordnung gibt tatsächlich innere Stabiltät), Versicherungen abzuschließen, Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen, dem Tag Struktur zu geben, feste Rituale zu pflegen. Es ist auch hier ganz individuell, was genau dir Sicherheit gibt.
Der andere Punkt ist, Verantwortung für dich selbst und deine Entscheidungen zu übernehmen. Dir klar zu werden, was für dich Freiheit ist. Was du gerne tun würdest, dich aber (noch) nicht traust? Deine Ziele und Wünsche zu kennen und für diese loszugehen. Gemäß deinen Werten zu leben, Hobbies nachzugehen, me-time für dich einzuplanen. Im Alltag eine klare und offene Kommunikation zu führen (auch mit deinem Kind!)
Grundbedürfnis nach Selbstwerterhöhung
Hier geht es um Wertschätzung und Anerkennung. Sich gesehen zu fühlen, wichtig zu sein, ein positives Bild von sich selbst zu entwickeln. Und das geschieht auf zwei Ebenen: einerseits wünschen wir uns Wertschätzung für unsere Leistung, aber andererseits primär auch für unser Sein. Beides sollte erfüllt werden.
Ist dies nicht der Fall, entwickeln viele von uns eine regelrechte Harmoniesucht, denn alles schreit innerlich „Nun hab mich doch lieb!“. Es kommt zu einer Überanpassung und unsere eigenen Grenzen verschwimmen.
Andererseits führt eine Frustration dieses Grundbedürfnisses zu Selbstzweifeln, die wir durch verschiedenen Strategien oft zu kompensieren versuchen: Perfektionismus, übermäßige Leistungsorientierung, überhöhtes Kontrollstreben.
Gerade als Vollzeitmutter ist dieses Bedürfnis oft GAR nicht erfüllt. Deshalb schaue hier unbedingt, was du hier tun kannst!
Inspirationen zur Selbstwerterhöhung
Da dies ein riesiger Punkt ist, wird es hierzu bald einen eigenen Artikel geben. Daher nur einige Punkte: umgebe dich mit Menschen, die dir gut tun. Nimm Komplimente dankend an. Achte auf deinen inneren Selbstgespräche: wie gehst du mit dir selbst um, redest du wohlwollend mit dir? Gebe anderen ehrliches, wohlwollendes feedback. Frage auch andere nach offenen Rückmeldungen.
Grundbedürfnis nach Lustgewinn/Unlustvermeidung
Dies ist das letzte der vier Grundbedürfnisse: wir alle sind bestrebt, Dinge zu vermeiden, die uns keinen Spaß machen. Du kennst das sicher: den lästigen Haushalt zu erledigen oder die Steuerklärung zu machen, kostet oft Überwindung. Wir wollen angenehme Dinge erleben und positive Gefühle haben.
Hier ist aber wichtig, Unlust oder Langeweile auch einmal auszuhalten. Denn leider gehören auch unangenehme Dinge zum Leben dazu- und daher darf dieses Bedürfnis immer wieder frustriert werden. Auch bei Kindern. Denn wer kennt es nicht? Bei den Kleinsten ist oftmals schon das Zähneputzen ein Ding der absoluten Unlust- und trotzdem muss es sein.
Vermeiden oder Aufschieben löst das Problem nicht, sondern macht es langfristig nur größer, weil zusätzlich ein schlechtes Gewissen und das Gefühl der Handlungsunfähigkeit hinzu kommt.
Wie du genau damit umgehen solltest, liest du im Folgenden
Konkrete Tipps zum Umgang mit der „Unlust“
Behalte im Hinterkopf, dass Unlustvermeidung ein Grundbedürfnis ist. Dadurch hast du sowohl auf deine Kinder, als auch auf dich selbst einen liebevolleren Blick. Erledige unangenehme Aufgaben gleich zu Tagesbeginn. Dadurch wird das Belohnungszentrum stimuliert und du fühlst dich beschwingt. Lege dir nicht zu viele Dinge auf einen Tag, um dich selbst nicht zu überfordern. Eine andere Möglichkeit: räume dir feste Zeitfenster dafür ein, z.B. jeden Mittwoch für eine Stunde. Feiere dich anschließend selbst für das Erledigen dieser Aufgaben- wie du das machst, ist individuell. Bringe dir selbst und auch anderen (v.a. deinen Kindern) Wertschätzung entgegen, wenn etwas Unangenehmes erledigt wurde. Und sorge für Ausgleich! Im Groben sollten sich lästige und „lustige“ Aktivitäten die Waage halten. Also, was tut dir gut, was machst du gerne? Egal ob das ein leckeres Essen, chillen oder ein Ausflug in die Natur sind. Sorge dafür, dass du Dinge tust, die der angenehme Gefühle bringen!
Fazit
Die Grundbedürfnisse und ihre Erfüllung haben einen wesentlichen Einfluss darafu, wie wir uns fühlen und verhalten. Daher ist es wichtig, sie zu erkennen, verstehen und einen angemessenen Umgang mit ihnen zu erlernen- und zwar gerade als Eltern bei uns selbst. Dadurch leben wir auch unseren Kindern diese Wichtigkeit vor.
Wenn du häufig frustiert bist oder oft unter „negativen“ Emotionen wie Angst, Traurigkeit oder Scham (mglw. wegen unerfüllter Bedürfnisse?) leidest, kann ich dir gerne mit einer psychologischen Beratung behilflich sein.